AUTORENGRUPPE OHRENHÖHE
Schreibwerkstatt und szenische Lesungen
René Oberholzer, Wil
Jahrgang 1963
Sekundarlehrer, Autor und Performer.
Mitbegründer der Autorengruppe Ohrenhöhe.
2001 Anerkennungspreis der Stadt Wil für sein literarisches Schaffen.
Zahlreiche Einzeltexte in Anthologien, Zeitungen und Literaturzeitschriften
im gesamten deutschsprachigen Raum veröffentlicht.
Publikationen:
2000: „Wenn sein Herz nicht mehr geht, dann repariert man es
und gibt es den Kühen weiter“ (Kurzprosa), Verlag Im Waldgut, Frauenfeld.
2002: „Ich drehe den Hals um – Genickstarre“ (Gedichte)
2006: „Die Liebe wurde an einem Dienstag erfunden“ (Kurzprosa),
beide: Nimrod-Literatur-Verlag in Zürich.
2015: "Kein Grund zur Beunruhigung" (Gedichte), Driesch-Verlag

Liebesbrief an Carola
Liebe Carola
Weisst du noch, wie wir im Kindergarten Hand in Hand über die Strasse gingen? Schon damals fühlte ich, dass wir zwei zusammengehören würden. Oder weisst du noch, wie wir zwei beim Lehrer Benz die Tafel am saubersten reinigten? Schon damals fühlte ich, dass wir zwei zusammen alt werden würden. Leider kam ich in dann in die Realschule und du in die Sekundarschule, und wir verloren uns aus den Augen. Später heiratetest du den Peter Gantenbein, mit dem du zwei Kinder aufzogst. Das hatte ich von meiner Mutter gehört. Jetzt habe ich gehört, dass dein Mann überraschend verstorben ist. Das tut mir leid. Meine Frau ist vor 2 Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ich glaube, dass diese beiden Schicksalsschläge keine Zufälle sind. Vielmehr glaube ich, dass sie ein Wink des Himmels sind, damit wir endlich trotz unserer Kinder und Enkelkinder endlich zueinander finden. Liebe Carola, weisst du noch, wie wir zusammen an den Sommerabenden so lange Tischtennis gespielt hatten, bis wir die weissen Bälle nicht mehr sahen? Weisst du noch, wie ich dich nach Hause brachte und du mir sagtest: Hoffentlich geht dieser Sommer 73 nie zu Ende. Morgen ist Sommeranfang. Bist du dabei? Am selben Ort? Mit Schläger und Ball? Weisst du noch, dass wir unser letztes gemeinsames Spiel im Sommer 73 beim Stand von 10:8 für dich wegen der Dunkelheit abgebrochen hatten? Es ist Zeit, das Spiel zu Ende zu bringen und ein neues zu beginnen.
Dein Markus
Aus dem Programm "PS: Ich find' dich gut."
Die Ausflüge
Es schien, als ob es den ganzen Tag regnen würde. Der alte Mann sass zu Hause und dachte an die Tage, als er noch Auto fahren durfte. Er schaute von der 3-Zimmer-Wohnung auf die Strasse hinunter und zählte die Autos, die am Fenster vorbeizogen. Bei manchen Autos fragte er sich, wer wohl hinter dem Steuer sass, dachte sich Geschichten aus und fuhr mit den Autos davon.
Am liebsten fuhr er in den Süden, irgendwo ans Meer, mit Frauen, die seine Bekanntschaft gemacht und sich schnell an ihn gewöhnt hatten. Er lag mit ihnen an den Strand, genoss die Sonne, trank Fruchtsäfte und machte lange Spaziergänge in der Abendsonne.
Gegen Abend kehrte seine Frau im kleinen Auto zurück. Als sie ausgestiegen war, schaute sie zu ihrem Mann hinauf, der am Fenster sass und die Augen geschlossen hatte. „Er schläft schon wieder“, dachte seine Frau und öffnete die Haustüre. Als sie das Treppenhaus betrat, stand eine Träne in ihrem rechten Auge. Diese hatte sie weggewischt, bevor sie die Türe zu ihrer Wohnung öffnete. Sie trat ein, ging zu ihrem Mann, der noch immer am Fenster sass, legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte: „Ich bin wieder zurück.“ Der Mann öffnete die Augen und sagte nur: „Ich bin auch wieder zurück.“ Dabei schaute er seine Frau an, doch nur kurz. Seine Augen suchten bereits wieder die Strasse, auf der die Autos an ihm vorbeizogen.
Aus dem Programm "Gedieselt am 4. Fiat"
2010 - present
2010 - present
Das Viertelfinale
Gestern fand das Viertelfinalspiel im Schweizer Klostercup statt.
22 Nonnen standen sich gut vermummt und in Handschuhen bei Kälte und leichtem Schneetreiben auf einem Ostschweizer Provinzfußballplatz gegenüber. Beim Kloster Wonnenstein hatten der Vollzähligkeit halber 2 Nonnen aus Ungarn und beim Kloster Magdenau 4 Nonnen aus Tschechien eingeflogen werden müssen. Genau um 13 Uhr ertönte der Anpfiff im diesem Viertelfinal, der im Vorfeld in Kirchenkreisen einige Wellen geworfen hatte. Sponsor dieses historischen Cups ist das Bistum Chur, das sich mit diesen Spielen erhofft, mehr Novizinnen für das Klosterleben gewinnen zu können.
Schon nach wenigen Minuten zeichnete sich ab, dass das Kloster Magdenau das Spiel für sich entscheiden würde. Dafür sprachen das Durchschnittsalter von 67, das beim Kloster Wonnenstein bei 75 lag, das gute Profil der Turnschuhe, das von Schwester Emanuela eigens für dieses Spiel aufgezogen worden war, und die spirituelle und mentale Überlegenheit. Schon nach 12 Minuten gingen die solidarisch spielenden Nonnen von Magdenau durch einen Freistoss von Schwester Siglinde, die den Ball geschickt flach gehalten hatte, in Führung. Dies führte zu einer völlig entfesselten Stimmung auf der Zuschauertribüne, angeführt von Pater Sigismund, der seine Mitpatres animierte, in Sprechchören lauthals „Gott ist auf unserer Seite“ zu skandieren. Doch die Fans der gegnerischen Nonnenschaft blieben auch nicht wortkarg in der eisigen Kälte stehen. Pater Frederick ermunterte seine Bruderschaft, die Worte „Gott ist ein Wonnensteiner“ immer wieder zu skandieren. Das beflügelte die alten Nonnen zwar nicht, wesentlich schneller zu rennen, doch gab es ihnen das Gefühl, Gott lasse sie in dieser neuen, schweren Prüfung nicht allein.
In der 39. Minute fiel das 2:0, ein schön herausgearbeitetes Kopfballtor durch Schwester Yolanda, die zu Boden fiel und mit dem Kopf im Pulverschnee für kurze Zeit wie benommen liegen blieb. Die Zeit bis zur Pause war nicht schön anzusehen. Schwester Susanne humpelte nur noch über den Platz, Schwester Veronika klagte über Wadenschmerzen, und der verstärkt einsetzende Schneefall sorgte dafür, dass der Ball nach der Schussabgabe auf beiden Seiten fast nicht mehr vom Fleck kam. Alle freuten sich auf die Pause, auf den Anis-Punsch aus der Kräuterapotheke des Klosters Wonnenstein, auf die Brunslis vom Kloster Magdenau und auf die Wadenmassagen von Schwester Pia und Schwester Rosmarie.
Als das Schneetreiben immer stärker wurde und kein Ende auf Wetterbesserung in Sicht war, beschloss man, das Spiel nach der 1. Halbzeit abzubrechen. Den Nonnen war das recht. Nur die Patres, die immer mehr zu Schneemännern mutierten, hätten gerne noch mehr gesehen, freuten sich aber dennoch über den Fussball-smalltalk, der bis gegen 15 Uhr vor der Umkleidegarderobe andauerte. Dann verabschiedeten sich die beiden Nonnenschaften, fuhren in ihren Bussen in ihre Klöster zurück und beteten, dass das Wetter beim Wiederholungsspiel besser sein würde. Und die Nonnen des Klosters Magdenau träumten bereits vom Gewinn des Finalspiels in 5 Wochen und somit vom Gewinn der goldenen Madonna mit Jesuskind.
Aus dem Programm "Wem der Kater muskelt"
Die Erneuerung
Meine Frau und ich, wir freuen uns auf jedes Wochenende. An den Samstagabenden kochen wir jeweils ein 5-Gang-Menü und reden während des Essens über die Gegenstände, die wir in der Wohnung als nächstes loswerden wollen. Nach langen und intensiven Diskussionen einigen wir uns dann auf einen gemeinsamen Gegenstand. Da wir alle Gegenstände in unserer Wohnung zusammen ausgewählt haben, wird auch keiner von uns benachteiligt, obwohl sich im Laufe der Zeit zu gewissen Gegenständen Emotionen aufgebaut haben. Nach dem 5-Gang-Menü nehmen wir den Gegenstand, den wir loswerden wollen, und stellen ihn in die Garage. Am Montag wird der Gegenstand von mir und meiner Frau entsorgt. Am Mittwoch gehen wir ins nächste Einkaufszentrum, ersetzen den alten Gegenstand, und so geht das das ganze Jahr über. Am Ende des Jahres haben wir 52 Gegenstände aus unserer Wohnung entsorgt und durch 52 neue Gegenstände ersetzt. In der letzten Zeit habe ich das Gefühl, dass meine Frau mich immer mehr als Gegenstand betrachtet. So sagt sie z.B. „Du alter Löffel“ oder „Du komischer Teddybär“ oder „Du vergilbte Tasse“.
Aus dem Programm "Mach mich nicht wohnsinnig!"
Der Höhepunkt der Woche
Samstagmorgen. Einkaufszeit. Ein Mann und eine Frau im Warenhaus. Für ihn der persönliche Höhepunkt der Woche. Nur langsam durch die Regale schlendern. Zeit schinden. So tun als ob. Versuchen, die gemeinsame Zeit zu geniessen. Einen Small Talk über den neuesten Joghurt führen. Die billigste Milch suchen und den besten Käse finden. Beim Metzger das Rot des Fleischs bewundern. Die Lebensmittel betrachten. An die dritte Welt denken. Den Einkaufswagen schieben.
Samstagmorgen. Einkaufszeit. An die Mandelsplitterschokolade und zu dicke Hüften denken. Von gerechten Bananen und überrissenen Preisen reden. Nur nicht über sich reden. Sich anschauen. Die Ohrenstäbchen und die Feuchtigkeitscrème auf dem Einkaufszettel durchstreichen.
Samstagmorgen. Einkaufszeit. Eine persönliche Bemerkung über den Vortag riskieren. Die heile Welt des Samstags trüben. Die Stimmung versauen. Mit dem Einkaufswagen stehen bleiben. Sich nach Nachbarn oder Bekannten umschauen. Sich anschimpfen. Der Frau mit den blonden Haaren und dem Mann mit dem schlanken Oberkörper nachschauen. Sich dabei nur nicht erwischen lassen. Nach anderen Produkten Ausschau halten. Der Kasse und dem Ausgang zustreben.
Samstagmorgen. Einkaufszeit.
Aus dem Programm "Mutter, wo ist die Butter?"